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Das Bedürfnis nach Autonomie

Beitrag von Edeltraut Renz, zuerst veröffentlicht im Parikids Magazin 05/2020.

Die Sozialpädagogin und systematische Beraterin unterstützt die Leitungen der Einrichtungen und die Fachkräfte als Fachberatung.

Lotta sitzt in ihrer Kita am Frühstückstisch. Sie löffelt das Müsli aus einer großen Schale in ihre eigene Schüssel. Sie macht das, weil es für sie selbstverständlich ist, sich selbst das Essen zu nehmen – so machen das alle in ihrer Krippe. Aber nicht etwa, weil es ihre Erzieher*innen verlangt hätten. Nein, Lotta möchte selbst entscheiden, wie viel Müsli sie möchte – schließlich ist sie kein Baby mehr.

Nicht immer klappt alles sofort perfekt. Zum Üben gehört vor allem auch das Ausprobieren: Woher sollen Kinder wie Lotta sonst wissen, wie sich Müsli auf einem Löffel auf dem Weg zur eigenen Schüssel verhält?

Nur selten landet das Müsli nicht in ihrem Schälchen, dafür hat sie lange geübt. Doch dann erzählt Lottas Freundin etwas Lustiges am Tisch und Lotta dreht sich zu ihr um. Die Kerne des Müslis fallen auf den Tisch. Lotta bemerkt, dass etwas danebenging und befördert das Müsli einfach mit der Hand in ihre Schale.

Die Forscher Richard M. Ryan und Edward L. Deci haben den Zusammenhang zwischen dem Bedürfnis, selbstständig zu handeln, und den damit verbundenen positiven Auswirkungen auf das Lernverhalten untersucht. Aus den Ergebnissen leitet sich ihre Selbstbestimmungstheorie ab.

Demnach braucht der Mensch, und somit auch das junge Kind, für eine gesunde Entwicklung das Erleben der sozialen Zugehörigkeit, die Erfahrung, kompetent zu sein sowie die Möglichkeit, Dinge nach eigenem Denken und
Tempo zu tun. Das ist u. a. der Grund, weshalb moderne Frühpädagogik sich an den Interessen von Kindern orientiert und den Rahmen durch anregende Materialien, Projekte und Aktionen setzt.

Das Angebot geht damit direkt auf die Kinder ein und diese können ihre Fähigkeiten im Alltag erweitern und sich neue Bereiche erschließen. Die positive Erfahrung mit der eigenen Selbstständigkeit und das Erleben, Dinge zu schaffen, die man sich vorgenommen hat, stärken das Selbstwertgefühl eines jeden Menschen.

Alle Bedürfnisse unter einem Hut?

Jesper Juul, der bekannte Psychologe, hält fest, dass Kinder in der Regel gute Absichten verfolgen, für sich selbst zu sorgen und die Bedürfnisse anderer zu berücksichtigen. Ein Balanceakt, der auch uns Erwachsenen nicht immer gelingt und den Juul mit folgendem Beispiel beschreibt: Juul beobachtete eine Familiensituation im Restaurant. Die Mahlzeit ist beendet und die Eltern beginnen miteinander ein Gespräch. Die Kinder bleiben eine Weile sitzen, finden die Unterhaltung dann aber nicht so spannend. Sie bewegen sich nicht zu weit vom Tisch weg und beginnen ein spannendes Spiel, in dem sie auf verschiedenen Routen um die leeren Tische laufen. Plötzlich werden sie im Spiel unterbrochen, weil der Vater ihre Namen ruft. Da der Vater aber kurz darauf das Gespräch wieder aufgreift, setzen auch sie ihr Spiel fort. Abermals werden sie unterbrochen, weil der Vater sie wütend zum Tisch ruft. Die Kinder kommen sofort zum Tisch. Dort wirft der Vater ihnen vor: „Ihr wisst gar nicht, wie ihr euch benehmen sollt, das nächste Mal bleibt ihr zu Hause.“ Die Kinder verlassen dann gemeinsam mit ihren Eltern mit hängenden Köpfen das Lokal.

Was ist hier falsch gelaufen?

Der Vater nimmt nicht wahr, dass die Kinder ihr eigenes Bedürfnis (nach Bewegung) mit den (vermuteten) Erwartungen der Eltern kombiniert haben. Sie haben versucht, beim Gespräch der Eltern nicht zu stören, sie sind in der Nähe geblieben und haben nur die unbesetzten Tische umrundet.

Es wird sichtbar, dass es einen Unterschied macht, wie wir das Handeln der Kinder deuten und ob wir denken: „Ach, das Kind zieht sich extra langsam an und interessiert sich gar nicht dafür, dass ich es eilig habe.“ Oder ob wir denken: „Das ist jetzt wohl eine wichtige Entwicklungsaufgabe, sich selbst die Schuhe anzuziehen.“ Dahinter steckt das Bedürfnis, etwas für das Kind Bedeutsames selbst zu tun, dahinter stecken Motivation und Ausdauer.

Bedürfnisse aufschieben?

Der Alltag lässt nicht immer zu, Bedürfnisse zu stillen. Auch Kleinkinder können einfühlsam lernen, Bedürfnisse aufzuschieben, indem ihnen gezeigt wird, dass ihr Bedürfnis gesehen wird. „Ich sehe, dass du noch auf dem Spielplatz bleiben möchtest. Allerdings ist dein Bruder jetzt müde und ich muss ihn ins Bett bringen. Ich kann verstehen, dass dich das ärgert. So geht es mir auch, wenn ich etwas aufhören muss, dass mir gerade viel Freude bereitet.“

Die Kita ist ein Bildungsort und der Lebensraum der uns anvertrauten Kinder. Als Fachkräfte der PariKita gestalten wir den Alltag nach diesen Prinzipien. Das gibt den Kindern die Möglichkeit, sich selbstwirksam zu erleben. Verständnis für Kleckereien am Frühstückstisch als auch genügend Zeit einzuplanen, damit die Kinder ihren Bedürfnissen nachgehen können, sind dafür kleine Beispiele.

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Gefördert durch die Bayerische Staatsregierung

Die Gemeinnützige Paritätische Kindertagesbetreuung GmbH in Nord- und Südbayern betreibt über 50 Kinderkrippen, Kindergärten, Kooperationseinrichtungen, Horte und Kinderhäuser in und um München, Regensburg, Nürnberg, Erlangen und Forchheim. Alle PariKitas zeichnen sich aus durch eine liebevolle Betreuung, hohe fachliche Qualität und anspruchsvolle Pädagogik auf Basis der Grundwerte des Paritätischen: Vielfalt, Toleranz und Offenheit.